Freitag, 10. Dezember 2010

übergänge

Dortmund, 10. Dezember 2010
Liebe Edda,

Strafen will gelernt sein, schreibst du. Seltsame Formulierung. Darüber will ich nachdenken. Ich habe immer gedacht, das saugt sich mit der Muttermilch ein, pardon, sozusagen (ich zähle nicht von eins runter, Familie, Ersatzfamilie, Original & Fälschung, vielleicht sollte man sich mal mehr austauschen, ich kenne kaum Familien, die auf dem hohen Ross sitzen, der Alltag ist kompliziert, Vergnügen am Zusammenleben mit Kindern zu haben ist kein Verbrechen, wer redet von Ersatzfamilie? Irgendeine Herkunft haben alle. Männer in solchen Positionen pflegen sowohl als auch zu haben, nicht wahr, und nicht immer pfleglich damit umzugehen).

Die Kinder bestimmen selber, was sie spielen. Wie du dir das vorstellst. Setz dich in die Ecke und lies ein Buch. Niemand schickt sie von Haus zu Haus. Manchmal gehen widerwillig Mütter (!) mit. Um sie zu beschützen. Einmal erzählte Anna, wie ein älterer Herr sie und ihre Freundin ins Haus gebeten habe um sich die Süßigkeiten abzuholen, weil er die als Hexen verkleideten Mädchen so niedlich fand. Es sei ein langer Flur da gewesen, voller Bilder und mit einem Hirschgeweih, sie hätten sich gefürchtet und seien davongerannt. Warum ich mitmache. Vielleicht finde ich Halloween zeitgemäß. Vielleicht gefallen mir Hexen und Zauberer mit Zahnspangen besser als heilige Könige, die für arme Kinder in der Welt sammeln und am Ende doch zu Verursachern und Nutznießern gehören, in leitenden Positionen. Halloweenkinder sammeln für sich selbst. Kein Subtext. Das ist in Ordnung. Wir sangen Martin Luther oder Ein feste Burg ist unser Gott und hielten den Beutel auf, seinerzeit, am gleichen Tag, Reformationstag, was ist das denn.

Auf Horst geschminkt. Wollten wir H.B. sein. CrossGender ging ausschließlich auf Leinwand oder Bühne, draußen war’s gefährlich, nimm die Karte als Zeichen für Übergänge. Die sind nicht immer schön. Oder dreh sie mit dem Gesicht zur Wand. Das ist drollig.

Sorry für die lange Leitung. Ich erkläre nichts. Deine D.

Samstag, 6. November 2010

no treat

Berlin, 6. November 2010
liebe Tante,

bei mir haben sie drei Mal geklingelt und ordentlich verkleidet brav gepiepst: Süßes oder Saures. Ich hab eine angebrochene Schokolade im Kühlschrank, zwei Kohorten gehen leer aus. „Wurdest Du nicht bestraft?“, fragt einer, „in Neukölln!“ Nein, ich wurde nicht bestraft. Hat man vergessen, Ihnen das beizubringen, das Strafen. Und Du, Wieso machst Du da mit? Du bist doch auch ohne Halloween groß geworden. Ich lehne das ab. Inkonsequent, ich müsste auch Ostern ablehnen als Geschäftemacherei unter mythischem Deckmantel. Wurdest Du bestraft?
Hier meldet die Grünen-Spitzenpolitikerin ihren Willen zum Amt an. Bürgermeisterin von Berlin!, wir hatten erst eine. Prompt die ersten Porträts, die von der Ersatzfamilie Politik faseln. Ich verlange die sofortige Streichung des Wortes Ersatzfamilie. Schon weil es so unangenehm durchsichtig ist, die Familie hockt sich auf die 1 und zählt runter: Politik, Freunde, Theater, Ehrenamt, Kollegium. Alles Ersatz, klar. Wie asozial ist eigentlich Familie. Und was ersetzt die Familie, hm?! Schließlich erzieht Halloween die Brut, dass Familienfremde bedroht oder bestochen gehören, sauber. Immerhin, die Verkleidung ist ehrlich: Buh! – Die Verkleidung, in die ein Neuköllner Fotostudio Horst Buchholz gezwungen hat, befremdet mich, Deine Karte ist angekommen, Danke. Aber ist das Horst? Oder ein feines Mädchen im Korsett, das auf Horst geschminkt wurde. Oder ein CrossGender-Projekt, auf alt getrimmt. Oder wolltet ihr Mädchen damals nicht Horst haben, sondern Horst sein. Sprich! Sorry, aber das Bild sieht für mich völlig dressiert und überzüchtet aus. Ein gespenstischer Kunstmensch. Diesem Horst würde ich nicht öffnen, ich hab noch einen komplett würdelosen Spion in der Tür.
Du weißt doch nie, ob Du ein Inbild, ein Abbild, ein Vorbild oder eine Verkleidung siehst.

Letztens wünschte ich einer Abo-Verkäuferin an der Tür noch viel Glück, ich wollte kein Abo. Sie fing an zu zittern und sagte, mühsam beherrscht: „Bitte wünschen Sie mir kein Glück.“
drollig muss ich noch mal überprüfen... deine e.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Sie nennen es Halloween

Dortmund, 31. Oktober
Liebe Edda,

da du es wissen möchtest: Eine Schublade ist gefüllt mit Süßigkeiten, abgepackt in kleinen Portionen für jene, die auf ihre Weise den Schrecken der Gegenwart abhandeln, indem sie von Tür zu Tür ziehend den Bewohnern insbesondere von Eigenheimen mit Sachbeschädigung drohen. Sie nennen es Halloween. Man besticht sie mit Schokolade.

Ich habe auch etwas für dich. Dinge, die nicht feststehen. Ich werde sie dir schicken oder für dich aufbewahren. Es sind zwei Postkarten, auf denen der unvergessene Horst Buchholz, der zu meiner Kindheit gehört wie gemusterte Nyltestkittel ohne was darunter und Buttercremetorte, ich schrieb’s dir, zu sehen ist. Ich fand sie in einer Kiste vor der Tür eines Trödelladens. Manchmal streife ich durch die Stadt ohne ein Ziel und ohne jemandem zu folgen. Auf der Rückseite der Fotografien steht unter Namen und Geburtsdatum der Ort Berlin-Neukölln, Bornsdorfer Str. 4. WS-Druck Wanne-Eickel. Bemerke bitte die Achse Berlin Ruhrgebiet und dass ich an dich denke. Als Hochstapler Felix Krull trägt er die Haare zu einer dezenten Tolle und posiert artig vor Wohnaccessoires, dem Halbstarken fällt eine Locke in die Stirn, der Hintergrund ist diffus. Ich kann nicht sagen, warum mich solche Bilder von mir fremden Personen ansprechen, aber ich sehe sie mir wieder und wieder an. Der barfüßige Schriftsteller H. spricht in seinen Aufzeichnungen von Inbildern. Madame Duras hielt allein die Tatsache angeschaut zu werden für einen Verlust der Würde. Ich kann diese Haltung verstehen, jetzt, nachem ich nicht mehr jung bin und auch nur mehr wenig Wert darauf lege, auf diese neugierig forschende Weise betrachtet zu werden, nach der ich mich einmal gesehnt habe.
Berichte bei Gelegenheit deiner alten Tante, was das ist, etwas Drolliges tun. Und dann. Deine
Daphne

Montag, 11. Oktober 2010

skin

Berlin, 11. Oktober 2010
Daphne..

...in nem Flur, dachte an Dich. Ohne Geschichte, ohne Worte. Verdammt!, deine e.

aufgang_d

Sonntag, 10. Oktober 2010

tuschecht

Berlin, 10. Oktber 2010
Liebe Daphne

Ja, da hast Du mich. Getroffen, ins Schwarze, von mir aus: tief. Täuschend echt, mehr ist nicht zu wollen und zu haben. Tusch!
Tausch, Tusche, Täuschung.
Muss ich Dir nicht mein Herz ausschütten, um meine ratlose Nähe zu tarnen. Das ist gut. Vermutlich verdorren die Nadelbäume vor Deinem Fenster, damit Du gesehen wirst, beim Schneiden. Wenn Du hier spazieren gehst, siehst Du Klappbetten, ich schwör’s, auch auf Balkonen. Ich mag Dir nicht davon erzählen, ich wohne in Neukölln und habe gelernt, von eigenem Erleben zu schweigen. Alles, was ich sage, wird zum Indiz einer Debatte, die ich nicht führe. Die Abschaffung beschäftigt mich nicht, ich lebe inmitten permanenter Veränderung und überhöre den Panik-Schlacht-Ruf. Die Abschaffung der Menschenwürde ist verfassungswidrig, sage ich nur.
Definieren Sie würdelos.
Von einer Liebe kann ich Dir nicht schreiben, das würde sie in eine Täuschung verwandeln.

Ich mag, wenn Du von den Dingen erzählst, die Dich umgeben. Ich besitze wenig Dinge. Bringe aber von jedem Abend in der Stadt etwas mit, was mich dringlich an den Abend erinnern soll, so sammeln sich lauter Fetzen. Ein Revolutions-Aufruf, von gestern Abend, ausm Theater. Wir klatschen wie Zombies jenseits der Revolte. Zum Beispiel.
Vielleicht mag ich Dinge nicht, weil sie so tun, als würden sie feststehn. & Ich muss jetzt noch was Drolliges tun,
deine edda

Donnerstag, 30. September 2010

täuschend echt

Dortmund, 30. September 2010
Liebe Edda,

wie von selbst...ja, das ist schön. Ich flaniere gern, gehen ohne Eile. Dann ist es das. Fürs erste. Gehen und schauen. Lässt sich vielleicht noch etws Flirrendes einbauen, eine Bewegung der Luft, oszillierende Zwischenräume? Du missverstehst mich (absichtlich, suchst du action? Vorsicht, nicht mit mir): Bei Erzählweisen, die stark am Plot orientiert sind, muss ich das Ende zuerst lesen, damit ich Ruhe habe für die Lektüre.

Ich habe mich selbst beauftragt zu überprüfen, woher der Wunsch nach TIEFE kommt und das Erschrecken vor der Oberfläche bzw. die Unzufriedenheit daran. Dringlichkeit, Beweggrund, Lover, echte Action. Hab ich das geschrieben? Das denkst du dir doch aus. Ich versuche, zu präzisieren (einmal sagte jemand über Virginia Woolf, ihre Prosa sei so präzise wie mit dem Messer geschrieben. Ich fand das verblüffend angesichts der vielen Geankendriften, las daraufhin noch einmal neu, und ja): Mir kam es so vor, als wichen wir vor etwas aus. Was mich betrifft, ist das nichts Ungewöhnliches. Ich bin ein Kissen. Mit einem Mal fiel mir ein Begriffspaar ein: Täuschend echt. Bislang habe ich es immer nur in Bezug auf Dinge gekannt. Ich nehme also den Wunsch nach etwas, das uns wirklich bewegt, als Aufruf zur Täuschung zurück.

Das „Klappbett“ ist doch geklaut.

Über das Eingemachte habe ich gelacht. Im Keller hier stehen noch Gläser mit Pflaumenmus. Er ist knüppelhart und hat die Farbe von getrocknetem Blut. Ich habe die Gläser bei jedem Umzug mitgenommen, ich kann mich nicht davon trennen. Einmal reihte ich sie auf eine alte abgeblätterte Holzfensterbank, die auf kleinen Füßchen stand. Mein Readymade. Ich.

Zwei fortwährend ersetzte Nadelbäume, die in der Straße als Sichtschutz und Abgrenzung dienen sollen, verdorren ein ums andere Mal nach kurzer Zeit. Jetzt sind sie vollkommen trocken und leuchten fuchsrot. An der Stelle wächst nichts, zwischen den Gärten. Ich betrachte das beim Kartoffelschälen, beim Reiskochen, Fleischanbraten, beim Broteschmieren, Obstschnippeln, beim Gemüseputzen, beim Entkernen, Zerschneiden, beim Häuten.
Herzl ich:
Daphne

Donnerstag, 23. September 2010

furch t

Berlin, 23. September 2010
teure Daphne!

Ich fürchte, mir geht’s grad zu gut, um Dir zu schreiben, was mich (wirklich) bewegt; ich mag den Herbst, Bewegung wie von selbst; über ein t kann ich lachen; Deine e.

hydrant

Mittwoch, 22. September 2010

nitty-gritty

Berlin, 22. September 2010
liebe D.

Du erinnerst mich an eine Freundin, ich hielt sie für meine. Bis sie ihren Geburtstag ohne mich feierte, so nahe wären wir uns ja nicht. Ihr fehlten die Herzschmerzgeschichten, hastig, um die Freundschaft zu retten, erzählte ich von dem Konzert und dem Tüpen mit der Mütze und dem Klappbettsofa. Ein ekliger Moment. Kurz: Ich kann nicht zu Deiner Befriedigung schreiben. Ich kann Dich auch nicht wie und wo Du es Dir wünschst schlagen, mir wäre langweilig. Die Heftigkeit eines Schlages kommt aus der Hüfte, nicht aus der Schulter: Ich zucke mit den Achseln. Du willst Dringlichkeit, Beweggrund, Lover, echte Action. (Denn Du bist ja nicht zufrieden.) Du entlarvst die Bereitschaft zum Unbedingten als Selbstaufgabe-Hingabenummer und vermisst sie an mir. Und nu? Ich hab Berliner Bier im Kühlschrank und Rotwein in der Speisekammer. Wenn Dir etwas fehlt, bring’s mit. Wieso erwartest Du, dass alles da ist, was Du Dir wünschst. Das ist Deine Männerfantasie. Wie?, – sie hat nicht das ganze Leben auf mich gewartet; was?, - sie lässt mich nicht ans Eingemachte? Antwort: nein; und ja, das ist luftdicht verschlossen. Erstickt. Ich kann Dir nix von toten Früchten erzählen. Und mein Sprechen nicht umtauschen, allenfalls die Sprache, ran ans Eingemachte ist to get down to the nitty-gritty, das klingt wie ein Spaziergang. Da ginge ich mit. Dass ich Dich nicht langweilen werde, hab ich nie behauptet.
In der Lieblingsbar lehnt ein Mann im Ringelpulli am Fenster und spricht eine Stunde nach vorn. Die Frau im Ringelpulli guckt ihm eine Stunde lang lächelnd ins Gesicht und hält ein Glas. Ist das was? Oder muss ich extra für Dich einen Hollywood-Star kidnappen, Raub & Amok machen oder aus Versehen ein Leben vernichten oder machen. Eine Journalistin rühmt das Genre Doku-Comic und stellt fest: „Und damit muss dann jetzt auch Schluss sein mit gezeichneten Reportagen. Davon haben wir tatsächlich inzwischen genug. Wer etwas wirklich Neues machen will, möge bitte baldmöglichst zum Beispiel das Revival der guten alten Fiktion als ästhetisches Konzept einläuten.“ Brauchen wir ein Konzept? Du kannst doch zeichnen. & überhaupt zugeneigt: e.

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